„Transition“: Begriffsklärungen und Theoriekonzepte

Der Kongresstitel scheint zunächst recht evident – wir leben offensichtlich in einer Zeit des Wandels, der Veränderungen, der Übergänge oder der Transitionen. Indes, was dieser Begriff genau beinhaltet, wird erst herauszuarbeiten sein. Das Plenum will soziologische Begriffsarbeit leisten, im Ziel, den (Kongress-)titelgebenden Begriff der ›Transition‹ auf sein theoretisches und heuristisches Potential hin zu befragen. 

Im alltagsweltlichen common sense wird bei ›Transition‹ wohl zunächst vor allem an Geschlechtertransformationen (transgender) gedacht. Im soziologischen Sprachgebrauch taucht der Begriff der Transition dagegen bislang nur punktuell auf. So fällt hierzulande unter dem Titel der Transition am ehesten die Erforschung biographischer Aspekte von Sozialität auf.[1] Anderswo, in der französischen Soziologie, gibt es zwar bereits eine ›sociologie des transitions‹, aber doch in recht spezieller Ausrichtung, nämlich als begleitende Forschung zu energetischen und agrarischen Transformationen im Zuge des Klimawandels (und noch spezifischer ist diese ›Transitionssoziologie‹ eine der ökonomischen Transformation Chinas).[2]

Allgemeinere Begriffe der Transition sind dagegen eher in anderen Disziplinen entfaltet. Das gilt vor allem für die klassische Kultur- und Sozialanthropologie: Arnold van Gennep und Victor Turner adressieren unter den Begriffen der passage bzw. transition Momente des individuellen und kollektiven Übergangs. Als rites de passage hat Arnold van Gennep 1908 die kollektive Organisation der Übergänge zwischen der profanen und sakralen Welt, zwischen Generationen und Statusgruppen usw. klassifiziert.[3] Im Anschluss an ihn hat Victor Turner 1969 die Unbestimmtheit der dabei entstehenden Momente des Zwischens, der ›Liminalität‹ hervorgehoben: Soziale Transitionen seien von Ambiguität, Uneindeutigkeit oder Unentschiedenheit geprägt. In ihnen erhalten die Subjekte für eine bestimmte Zeit den Status von ›Grenzgängern‹, von ›Schwellenwesen‹, von Figuren, die sich ›zwischen den vom Gesetz, der Tradition, der Konvention und dem Zeremonial fixierten Positionen‹ befinden.[4]

Später haben poststrukturalistische (und postmarxistische) Autoren wie Cornelius Castoriadis und Gilles Deleuze allgemeinere Konzepte gesellschaftlicher Transition entfaltet, wenn auch unter anderen Buchstaben: so geht es Castoriadis in den 1970ern um die permanente Selbstveränderung von Gesellschaft und um deren imaginäre Instituierung oder Fixierung; und Deleuze entfaltet zeitgleich Begriffe, die ständige und unvorhersehbare Veränderung oder ›Werden‹ ganz allgemein in den Vordergrund rücken. Begriffe des Übergangs finden sich danach schließlich auch in postkolonialen Theorien, nun auch als räumliche Metaphern des buchstäblichen Übertritts oder des Übergangs. Hier stehen jene Mobilitäten (von Konzepten wie von Akteuren) im Vordergrund, die postkoloniale kulturelle ›Zwischenräume‹ (Homi K. Bhbaba) oder eine ›translationale‹ Gesellschaft (Stuart Hall) erzeugen. Bhabha hat dabei auch darauf hingewiesen, dass die Beschreibung von Transitionen oder Übergängen letztlich eine Frage der Perspektive ist: die Wahl solcher Begriffe und Konzepte entspringt dem Vorhaben, Momente des Übergangs ›festzuhalten‹, sie zu ›verlangsamen‹ (Bhabha 2012: 65), um ein bestimmtes ›Problem, ein Moment, ein Ereignis‹ besser oder überhaupt zu sehen.

Im Anschluss an solche und weitere Konzepte lädt das Plenum dazu ein, am und mit dem Begriff der Transition zu arbeiten. Erlauben diese Begriffe (des Übergangs, der Schwelle und des Zwischen, der Transition), individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Prozesse und Ereignisse auf andere Weise zu fassen, als es die bisherigen Begriffe (der Evolution, der Transformation, der Revolution oder des sozialen Wandels) vermögen – und ebenso anders als bisherige Prozess-Begriffe (Rationalisierung, Zivilisierung, Differenzierung, usw.)? Erlauben sie Gesellschaftsanalysen, welche die Unklarheit der zeitgenössischen Situation, die Krisenerfahrungen der Gegenwart, die Zukunftsängste und ‑paniken in Bezug etwa auf Demokratie und Ökologie in den Blick rücken; oder solche, die die Unvorhersehbarkeit und das permanente Anders-Werden, die Unbestimmtheit des Sozialen schlechthin artikulieren? Es geht in diesem Plenum ausdrücklich um Begriffe und Konzepte, nicht ohne aber den Blick auf empirische Phänomene zu richten, nicht ohne auch geeignete methodische Vorgehensweisen anzudeuten oder/und methodologische Reflexionen einzubauen. 

Verantwortlich im Vorstand: Heike Delitz, Uta Karstein

Jury: Franka Schäfer (franka.schaefer(at)fernuni-hagen.de), Robert Seyfert ( seyfert(at)soziologie.uni-kiel.de)

[1] Siehe das Graduiertenkolleg ›Doing Transitions. Formen der Gestaltung von Übergängen im Lebensverlauf‹ der Universitäten Frankfurt/M. und Tübingen (https://doingtransitions.org/).
[2] Sociologie de la transition, transition de la sociologie, Cahiers internationaux de sociologie, 2007/1 (n° 122); Gendron, C. (2015). Sociologie de la transition: quelle société post-écologique ? Cahiers de recherche sociologique, (58), 55–72.
[3] Arnold van Gennep, Übergangsriten. Rites de passage, Frankfurt/M., New York 1986 [frz. Original 1908], 21.
[4] Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt/M., New York 2000 [engl. Original 1969], 95.